Kennen Sie Annelise Kretschmer?

Manchmal kommt es beim Fotografieren nur auf den richtigen Augenblick an, nicht auf Tiefenschärfe oder wohl durchdachte Komposition. Nur darauf, genau dann auf den Auslöser zu drücken, wenn das Gegenüber so unbeschwert lacht. Völlig entspannt und selbstvergessen wie die Frau auf diesem Foto. Nichts an dieser Aufnahme ist gestellt oder gestylt, auch die Umgebung spielt keine Rolle. Nur diese intime Situation, die uns sofort in ihren Bann zieht. Die fröhliche junge Frau ist Annelise Kretschmers Tochter Christiane. Sie hat zwei Jahrzehnte lang an der Seite der Fotografin gearbeitet, sie hat sie verehrt und geliebt: Als Mutter und als Künstlerin.

Bildnis einer jungen Frau mit Pferdeschwanz (1961-70), C-30898 LM

ERINNERUNGEN, MUSIK, O-TÖNE

Zahlreiche persönlichen Erinnerungen der beiden Frauen sind als Zitate in den Audioguide eingeflossen. Warum das LWL-Museum für Kunst und Kultur den Nachlass der Fotografin erworben hat und warum sich ihre Wiederentdeckung unbedingt lohnt, das erzählen die Kurator*innen der Ausstellung Tanja Pirsig-Marshall, Stephan Sagurna und Anna Luisa Walter im Audioguide. Das Linon-Team hat die Gespräche vor Ort im Museum aufgenommen. Die Originaltöne der Kurator*innen, die Zitate von Mutter und Tochter Kretschmer und die Musik, die das Ausstellungsteam zusammen mit Linon ausgewählt hat, machen den Audioguide lebendig. Hier können Sie ein Beispiel hören: unser Text zum Bildnis einer jungen Frau mit Pferdeschwanz.

BERUF UND FAMILIE

In Ausstellung und Audioguide begleiten wir Annelise Kretschmer von ihren ersten Versuchen mit der Kamera über ihre Ausbildung, ihre Reisen, ihre Beziehung zur Mode, bis in ihr Fotostudio in Dortmund und ihre Familie. Ihr Mann Sigmund war Bildhauer und hatte kein regelmäßiges Einkommen. Also musste Annelise mit ihrem Studio die Familie ernähren, während sich ihr Mann um die Kinder kümmerte. Für die Fotografin ging es aber nicht um Emanzipation, ihre Gründe waren ganz pragmatisch: „Ich wollte eine Familie, aber zugleich auch meinen sehr zufällig begonnenen Beruf weiterführen. Das Fotografieren machte mir sehr viel Freude“.

VIELE FRAGEN SIND NOCH UNGEKLÄRT

Kretschmers Leben und Werk geben noch viele Rätsel auf. So wurde sie zwar Mitte der 1930er Jahre aus der Gesellschaft Deutscher Lichtbildner ausgeschlossen, weil ihr Vater Jude war und sie damit als „jüdischer Mischling ersten Grades“ galt. Aber trotzdem durfte sie weiterarbeiten und fotografierte sogar Mitglieder der Wehrmacht. Wie das möglich war, ist noch unklar. Die Forschung geht weiter.

Ein Beitrag von Katharina Winterhalter

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